Der Soho-Rechenschieber von James Watt

Bereits bei Gunter's Scale war die logarithmische mit trigonometrischen Skalen kombiniert worden, um Navigarionsberechnungen zu erleichtern. Auch spätere Geräte richteten sich oft an Praktiker: Seeleute, Steuerbeamte und Handwerker. Sie enthielten spezielle Marken (Gauge Points) und Skalen für deren spezielle Aufgaben, waren aber mitunter nicht hundertprozentig präzise skaliert. Techniker arbeiteten dagegen meist weiter mit der genaueren Logarithmentafel. Erst um 1800 entwarf James Watt mit dem System Soho einen Standard-Rechenschieber mit einfachem Layout, aber exakt gezeichneten Skalen.

In seinem 700-seitigen Buch "A Treatise on the Steam Engine" (Link zum Buch) liefert Watts Ingenieur und Patentanwalt John Farey nicht nur eine Beschreibung der Dampfmaschine und ihrer Elemente, sondern in einem eigenen Kapitel (PDF-Auszug) auf 42 Seiten auch viele Anleitungen, wie man Watts Rechenschieber erfolgreich bei Konstruktions- und Rechenaufgaben einsetzt. Animation

Alle Abblidungen sind Fareys Buchkapitel entnommen

Farey definiert zunächst den Logarithmus jeder Zahl a, b oder c als Hochzahl zur Basis 10: diejenige Hochzahl, mit der man 10 potenzieren muss, um a bzw. b bzw. c als Ergebnis zu erhalten. Und er erklärt die Potenz- und Wurzelgesetze:

log(a) + log(b) = log(a*b) Wenn man den Logarithmus der Zahl a und den Logarithmus der Zahl b addiert, erhält man den Logarithmus ihres Produkts a*b. Der Logarithmus von 1,8 ist 0,255..., der Logarithmus von 4,2 ist 0,623... Beide Logarithmen addiert ergeben 0,878... Und das ist der Logarithmus von 1,8*4,2, also 7,56.

Anstatt zwei Zahlen zu muliplizieren, kann man also ihre Logarithmen ermitteln, addieren und den Logarithmus der Summe delogarithmieren (die dazugehörige Zahl suchen). Anstatt zwei Zahlen zu dividieren, kann man ihre Logarithmen subtrahieren und den Logarithmus der Differenz delogarithmieren: log(a) - log(b) = log (a/b) Anstatt die Quadratwurzel aus einer Zahl zu ziehen, kann man ihren Logarihmus halbieren und das Ergebnis delogarithmieren: log(a)/2 =log(√a). Die dritte Wurzel erhält man durch Divsion des Logarihmus durch 3 und so fort.

Zum Nachschlagen des Logarithmus benötigt man eine Logarithmentabelle. Die gab es zur Zeit Watts bereits seit fast 200 Jahren Die erste hatte im Jahr 1614 der Schotte John Napier veröffentlicht: "Mirifici Logarithmorum Canonis Descriptio".

Nun sind Logarithmen diskret, also ebenso abstrakt und unsinnlich wie nackte Zahlen. Anschaulicher wird es, wenn man Logarithmen als Strecken definiert. Im obigen Beispiel hieße das: Statt 1,8 * 4,2 zu berechnen, zeichnet man eine Strecke von 255 mm und verlängert sie um 472 mm. Dann misst man das Ergebnis: Die gesamte Strecke ist 756 mm lang. Das Zahlenergebnis 7,65 muss man wieder nachschlagen. Es wird selten hundertprozentig genau sein, aber eine dreistellige Genauigkeit ist durchaus zu erreichen.

Vom Logarithmus zur logarithmischen Skala

 

log(3)=0,477

Einfacher geht es mit einer logarithmisch geteilten Skala. Die kann man mit einem Zirkel erstellen. Den Logarithmus muss man natürlich vorher nachschlagen. Die 2 ist 301 mm, die 3 ist 477 mm, die 5 ist 699 mm, die 6 ist 779 mm, die 7 ist 845 mm, die 8 ist 93 mm, die 9 ist 945 mm vom Anfang der Strecke enfernt.

Also greift man mit einem Stechzirkel den Abstand jedes Skalenstrichs in einem auf drei Stellen genauen Raster ab und markiert ihn auf der Skala. Die Teilstriche beziffert man aber nicht mit den gemessenen Logarithmen, sondern mit den dazugehörigen Zahlen. So erhält man auch nicht den Logarithmus, sondern gleich die Zahl als Ergebnis und erspart sich das Nachschlagen. Der Logarithmus wird nun nicht mehr in einer Tabelle abgelesen, sondern ist in der Skala versteckt. 

So entsteht ein Lineal, auf dem der Abstand zweier Zahlen ihrem Verhältnis entspricht: 1 : 3 wie 2 : 6 oder wie 2,7 : 8,1  
Ich verschiebe den Abstand zwischen 1 und 3 auf den Anfangspunkt 2. Dann erfahre ich: 2 mal 3 ist 6.
Oder ich verschiebe den Abstand zwischen 1 und 3 auf den Endpunkt 8,1. Dann erfahre ich: 8,7 geteilt durch 3 ist 2,7.

Beim Ablesen logarithmischer Skalen ist übrigens Vorsicht geboten: In der oben abgebildeten Skala markiert jeder Teilstrich einen Zuwachs von 0,1. Allerdings werden die Abstände immer enger. Auf der Skala D des Rechenschiebers in der nächsten Abbildung unten werden die Abstände zwischen den Teilstrichen im Bereich zwischen 1 und 2 ihrerseits in jeweils fünf Teile geeilt. Der Zuwachs pro Teilstrich ist hier also 0,02. Zwischen 2 und 10 haben die Teilstriche dann wieder den Abstand 0,1, weil es sonst zu eng werden würde. Dagegen steht auf den Skalen A, B und C, die auf die Hälfte verkürzt sind ein Teilstrich zwischen 1 und 10 immer für die 0,1 und auf der rechten Seite, wo die Nullen von 20, 30, ... bis 100 nur aus Platzgründen weggelassen sind, letztlich für die 1.

Aus zwei Skalenpaaren wird ein Schieber

Das erste logarithmische Rechengerät war das Lineal von Gunter, auf dem Verhältnisse wie oben dargestellt mit dem Zirkel abgegriffen und an eine andere Stelle verschoben wurden. Wenig später fand man es bequemer, den Zirkel wegzulassen und zwei logarithmische Skalen gegeneinander zu verschieben. Das nannte man "Sliding Gunter". Kurz darauf erfand man die Methode, in einen Holzstab ein Bett einzufräsen, in dem man eine Zunge verschieben konnte. So entstand der "Rechenschieber". Um ein derartiges Gerät handelt es sich beim "Soho"-Modell von James Watt.  

Addiert werden die Strecken durch das Nebeneinanderlegen von zwei gleich eingeteilten Skalen. Lässt man die Skala A bei der 1,6  der Skala B beginnen, so kann man unter der 2,6 der Skala A den Wert der beiden hintereinandergelegten Strecken, also das Ergebnis von 1,6 * 2,6 ablesen: etwa 4,15. Lege ich 1,6 und 9,1 hintereinander, so lande ich jenseits der 10 bei 14,6.

Es fällt auf, dass die 20 erneut mit 2 beziffert ist. Tatsächlich ist die rechte Hälfte der Skalen A und B ein exaktes Abblid der linken, nur verschoben. Dasselbe gilt für die Logarithmen: War der Zehnerlogarithmus der 1,8  gleich 0,255, so ist der Zehnerlogarithmus der 18 gleich 1,255. In jeder Dekade  wiederholen sich dieselben Nachkommastellen. Die 18 ist von der 10 genauso weit entfernt wie die 1,8 von der 1. Also kann man nicht nur mit den Werten von 1 bis 10, sondern mit allen Zahlen rechnen: Man liest nur die Ziffernfolge aus der Skala ab und setzt das Komma nach einer Überschlagsrechnung.

Dividiert wird übrigens durch Umkehr des Verfahrens: Stellen Sie die 2 der A-Skala über 3,2 der B Skala und llesen Sie  bei 1 der A-Skala 1,6 ab. 3,2 / 2 = 1,6. Dasselbe Ergebni erhalten wir durch 3 über 4,8, durch 4 über 6,4 usw. Alle Zahlenpaare aus einem Wert der B-Skala und dem jeweils darüber stehenden Wert der A-Skala liefern das Divisionsergebnis 1,6. Man sagt: "Die Zahlenpaare stehen im selben Verhältnis." oder "Sie sind proportional." oder "Sie sind quotientengleich": 32 verhält sich zu 2 wie 1,6 zu 1.

So lässt sich mit einer einzigen Einstellung eine Dreisatzaufgabe lösen: Wenn 16 kg Zement 25 Euro kosten, mit welchem Preis muss ich dann rechen, wenn ich 2 kg brauche? Ich stelle 16 über 23 und lese unter der 28 die 45 ab.

Die Skala D  enthält nur eine Dekade von 1 bis 10. Dafür ist sie feiner unterteilt als die anderen drei Skalen. Beim Soho-Rechenschieber dient sie zum Quadrieren und Wurzelziehen. Wenn ich die 4 der Skala A durch einen beiebigen Teilstrich mit der Skala D verbinde, lese ich am unteren Ende des Strichs ihre Quadratwurzel 2 ab. Genau unter der 9 steht die 3, genau unter der 36 (rechte 3,6) die 6. Von unten nach oben wird quadriert. Genau über der 5 der D-Skala kann ich auf der A-Skala 2,5 ablesen. Hier bedeutet das 25.

Auch hier gibt es eine Abkürzung für bestimmte Formeln, z.B. die der Kreisfläche A = r²π : In der Abbildung oben stht über der 2,5 der D-Skala auf der A-Skala das Quadrat 6,3. Darunter steht die 1 (hier:10). Multiplizieren wir mit Pi (rechts davon über π =3,14), so erhalten wir 20.

Umgekehrt wird auch ein Schuh draus: Die Inversskala

Es muss ein Spielkind gewesen sein, das versuchsweise die Zunge verkehrt herum in den Rechenschieber gesteckt hat. Dabei fiel ihm auf: Wenn man auch die Rechenanleitungen für Multiplation und Division vertauscht, dann passt es wieder. Unter der 1,9 der A-Skala steht in der Abbildung die 3 der B-Skala. Und wo findet sich die 10?  Unter der 5,7! Galt in der Normalstellung der Zunge: Paare aus übereinanderstehenden Werten sind quotientengleich, so gilt bei Inversstellung der Zunge: Alle Paare aus übereinanderstehenden Werten sind produktgleich: 1,9 * 3 = 5,7 * 1.

Bei Inversstellung der Skala kann man antiproportionale Dreisatzaufgaben mit einer Einstellung lösen: Wenn ich einen Balken mit einem Querschnitt von 35 cm Breite und 16 cm Dicke durch einen Balken von 25 cm Breite mit gleicher Tragkraft ersetzen muss, wie dick sollte dieser dann sein? Man stellt die 16 unter die 35 und liest unter der 25 die 23 ab.

Auch Aufgaben des Typs a√b lassen sich in der Inversstellung lösen:
Um 2,4 * √0,3 zu berechnen, stellt man die 6,3 über die 3 und liest unter der 1 der invertierten B-Skala 7,5 ab.

Gefaltete Skalen

Nichts ist so gut, dass man es nicht verbessern könnte. Da man für normale Muliplikations- und Divisionsaufgaben zwei gleich skalierte Skalen nebeneinander benötigt, mussten solche Aufgaben auf dem Soho-Rechenschieber über das Skalenpaar A/B gelöst werden. Die beiden Skalen waren aber nicht so genau abzulesen wie die doppelt so breite D-Skala.

Wenn man aber die B/C-Skala auf der Zunge nur von 0 bis 10, also über eine Dekade laufen lässt, und beiim Rechnen statt mit der A-Skala mit der C-Skala kombiniert, so kann man die Ablesegenauigkeit steigern. Allerdings landet dann die 1 unvorhersehbar manchmal links außen neben dem Körper und man muss zum Multiplizieren durchschieben (statt der 1 die 10 einstellen). Also skalierte Farey die B-C-Skala zwar ebenso wie die D-Skala, setzte aber darüber hinaus die 1 der Zunge in die Mitte. Wenn nun etwa bei 2,7 * 2,8 das Ergebnis außerhalb der Skala lag, brauchte er die Zunge nicht mehr ganz durchzuschieben, sondern nur die Skalen zu vertauschen, um 2,8 * 2,7 zu rechnen. 

Weitere Skalensysteme

In einem weiteren Anflug von Optimierungswut setzte Farey die Skalen B und C - letztere invers und gefaltet - nach außen und die Doppelskala A D auf die Zunge. Dafür waren wieder neue Rechenregeln erforderlich. Außerdem aber konstruierte er die Zunge so, dass man sie auch wenden konnte. Auf der bislang leeren Rückseite brachte er zwei weitere Skalen an, die beide mit der neuen  invertierten und gefalteten B-Skala zusammenarbeiteten: Eine E-Skala, die direkt vom Volumen in die Oberfläche einer Kugel  umrechnen konnte, indem sie den Wert der B-Skala mit 3 potenzierte und daraus die Quadratwurzel zog und eine N-Skala die die lineare Logarithmusskala (siehe ganz oben) invertierte. Mit ihr konnte man den Logarithmus ermitteln und durch Vervielfachen beliebige Potenzen und durch Division Wurzeln beliebigen Grades ziehen. Diese letzte Variante des Rechenschiebers war aber wohl für den Durchnittsingenieur schon etwas allzu raffiniert gedacht. Sie wurde wohl nie in Serie produziert.

Schon 50 Jahre nach James Watt wurde der Soho-Rechenschieber durch eine neue Norm abgelöst. Mittlerweile kamen viele der Rechenschieber aus der Werkstatt von Lenoir in Paris, die eine neue Skalenteilungsmaschine besaß. Der französische Armeeleutnant und Mathematiker Amédée Mannheim übernahm 1851 die Ideen mit der Wendezunge und der Mantissenskala. Auch die von Watt als entbehrlich erachtet Sinus- und Tangensskalen fügte er wieder hinzu. Weil er außerdem den Rechenschieber durch einen Läufer aus Metall erweiterte und die Gleitfuge dert Zunge so ausfräste, dass die Zunge mit der Rückseite nach oben eingesteckt werden konnte, war es nun möglich, die Werte mehrerer Skalen in einer Rechnung zu kombinieren. Und Mannheim gewann genug Platz, um auf seinem Rechenschieber sogar noch zwei Zentimeterskalen zum Messen und Zeichnen unterzubringen.

Die invertierte Skala und die umwendbare Zunge waren bei den Rechenschiebern folgender Generationen oft als Option erhältlich.  Sie ermöglichten Vereinfachungen beim Einstellen und erhöhten die Genauigkeit:

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