Der "Rechenkamm" von Johannes de Elsa

In einer mittelalterlichen Handschrift fand Menso Folkerts die Beschreibung eines ungewöhnlichen Rechenbretts: eine Art Kamm aus Blei den man man als Hilfe sowohl für das Rechnen mit ganzen Zahlen als auch mit Sechzigstelbrüchen oder Münzen verwenden konnte. Der Rechenpfennig auf der vertikalen Leiste besitzt, sofern vorhanden, den fünffachen Wert der Rechenpfennige auf dem jeweiligen Zinken. Im Falle von Bruch- und Münzrechnung werden auch die Zwischenräume als nichtdezimale "Zwischen-Stellenwerte" einbezogen. Im Gegensatz zum älteren römischen Abakus und des etwa gleichzeitig entstandenen chinesischen Suanpan, aber in Vorwegnahme des Aufbaus der Rechentische und -tabellen des 14. und 15. Jahrhunderts wachsen hier die Stellenwerte nicht von links nach rechts, sondern von unten nach oben. Die Rechenmünzen auf den Zinken des Kammes haben den einfachen Wert der Stelle, die Rechenmünzen links daneben auf den Verbindungsstück des Kamms (entsprechend dem "Himmel" des Abakus) zählen 5.

Die Beschreibung des mittelalterlichen Autors ist dokumentiert und kommentiert in der Zeitschrift Historia Mathematica. Ob ein solches Gerät je in größerer Zahl hergestellt und verwendet wurde, ist nicht bekannt. Ein Gerät aus Blei in der Größe der Tabellen auf mittelalterlichen Rechentischen und -tüchern wäre schwer und unhandlich und würde sich leicht verbiegen. Ein handliches Gerät würde dagegen zu Handhabungsproblemen führen, da die Rechenmünzen sehr klein sein müssten und da sie von Zinke zu Zwischenraum nicht einfach verschoben werden könnten sondern immer wieder aufgelesen und abgelegt werden wüssten.

Rechnen mit ganzen Zahlen 








In diesem Beispiel finden sich
bei M (mille) zwei Rechenmünzenjeweils mit dem Wert 1000,




bei C (centum) eine Rechenmünze mit dem fünffachen Wert
einer Hundertermünze,




bei X (Zeichen für 10) eine Rechenmünze mit dem fünffachen Wert und vier mit dem einfachen Wert von 10



und bei I (unitas=Einheit) zwei Rechenmünzen mit dem Wert 1.

Macht zusammen 2192

Bei den Römern gab es daneben (hier: darunter) noch eine Stelle für Zwölftel und eine weitere für noch kleinere Brüche.
Rechnen mit Brüchen (Grad und Stunde)


Johannes de Elsa verzichtet bei seinem Rechenkamm auf die Markierung der Zinken. Aber er beschreibt, in welcher Weise man sein Gerät auch für Brüche einsetzen kann. Dafür verwendet er  das Sexagesimalsystem der Sumerer, das sich damals schon in der Astronomie,  der Navigation und der Zeitmessung durchgesetzt hatte: 60stel, 3600stel und 216000stel.

In der Zeitmessung werden die Stunde, in der Navigation das Grad in sechzig Minuten zu sechzig Sekunden geteilt. Die noch über dem Grad angesiedelte Einheit signum bleibt etwas rätselhaft. Denkbar wäre, dass ein signum 12 gradus (Stunden)  entspricht. Dann wäre das signum selbst die Ganzheit: der Tag. 

Folkerts nimmt jedoch ohne nähere Begründung an, dass ein signum 30 gradus umfasst. Dann würden wohl 12 signa eine noch größere Einheit ergeben und die unitas Ganzheit wäre der Vollkreis.  Beim Rechenstab von Gunter Für die Navigation gibt es zwischen Vollkreis und Grad eine etwas anders definierte Zwischenstufe: den mit Rhumb bezeichneten halben Viertelkreis. Dieser würde nach unten in 45 Grad umgerechnet.

Rechenmünzen zwischen den Zinken besitzen den zehnfachen Wert der darunteriegenden Einheit. Auf dem abgebildeten Rechenkamm liegen also 26 Grad  (20+5+1)
Darunter beginnt die Sechzigstelteilung: Ein Grad bzw. eine Stunde wird aufgeteilt in 60 Minuten. Also liegen hier 37 Minuten  (30+5+3) und 18 Sekunden (10+5+3)

Vermutlich ging es dann mit sechzigstel Sekunden (tertia) weiter. Heute allerdings misst man man bei der Zeitrechnung Sekundenteile in Zehnteln und Hundertsteln und verwendet bei der Navigation (GPS) von vornherein dezimal geteilte Grad.

Rechnen mit Münzen

Die Währungseineit im Frankreich des 14. Jahrhunderts war das librum (Pfund). Wie heute gab es unregelmäßig gestufte Stückelungen: Münzen zu 1 librum, 5 librae, 10 librae, 20 librae, 100 librae, 500 librae und 1000 librae. Kleinere Einheiten waren der solidus (ein Zehntel Pfund), der denarius (ein Zwölftel solidus) und der obulus (ein halber denarius). Wie auf dem Rechenbrett konnten hier mehrere kleinere in eine größere Münze getauscht werden und umgekehrt.

Auch hier besitzt die auf jedem Zinken am weitesten links liegende Münze den fünffachen Wert der anderen null bis vier vier. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Bei den denarii gibt es keine Fünfer, alle Münzen sind Einer. Dafür hat die Münze im darüber liegenden Zwischenraum nicht den Wert von 10, sondern nur von 6 denarii. Schon beim römischen Abakus lagen in der zweiten Spalte von rechts unten 5 Einer und die darüber befindliche Perle hatte nicht den Wert 5, sondern 6. Alle Münzen auf dem Zinken inklusive der ganz linken haben den Wert 1. Auch den Obulus gab es schon bei den Römern: Die Spalte ganz rechts im römischen Abakus lässt hier ein Halbieren, Dritteln oder Vierteln ner denarii zu.

Auf unserem Rechenkamm liegen also 1658 librae, 2 solidi, 10 denarii und ein obulus.

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